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Die Wiener Dispensehen - Eine nach wie vor lehrreiche cause célèbre des Allgemeinen Verwaltungsrechts
Prof. Dr. iur. Reinhard Mußgnug
Das in Österreich bis 1938 gültige Recht der Ehescheidung glich dem, was Karl Kraus einen „verbroigten Loibusch“ genannt hat. Es erlaubte den Atheisten, Protestanten, Altkatholiken, Juden und den Burgenländern die Scheidung ihrer Ehen. Den außerhalb des Burgenlandes lebenden Katholiken dagegen hat es sie kategorisch verboten. Dass die scheidungswilligen, aber wegen ihres außerhalb des Burgenlandes gelegenen Wohnorts nicht scheidungsberechtigten Katholiken nach Auswegen suchten, versteht sich nachgerade von selbst. Am nächsten lag der Weg über § 83 a. F. des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs, nach dem die zuständige Verwaltungsbehörde „aus wichtigen Gründen … von Ehehindernissen“ dispensieren konnte. Dieser Dispens führte zwar nicht zur Scheidung; er befreite aber vom Ehehindernis des bestehenden Ehebandes und erlaubte so dem oder der Dispensierten das Eingehen einer neuen Ehe. Die kk. Monarchie ist mit diesem Dispens allerdings sehr sparsam umgegangen. Vom November 1918 an bewilligte ihn der Magistrat des „roten Wien“ dafür umso groß-zügiger so gut wie jedem, der bei ihm darum nachsuchte. Um die Gültigkeit der auf diese Weise ermöglichten Dispensehen haben sich Rechtswissenschaft und Recht-sprechung lebhaft gestritten. Der Verwaltungsgerichtshof und der Oberste Gerichtshof hielten sie für nichtig. Der Verfassungsgerichtshof indessen rettete sie unter der Feder-führung Hans Kelsens, indem er sie als Kompetenzproblem anpackte. Denn der Dispens vom Ehehindernis des bestehenden Ehebandes war ein dem Zugriff der Zivilgerichte entzogener Verwaltungsakt, der so lange wirksam blieb, wie die Verwaltungsbehörde, die ihn erlassen hatte, an ihm festhielt. Auch das war freilich nicht von langer Dauer. Ein Gesetz zur „Entpolitisierung“ des Verfassungsgerichtshofs, sorgte 1929 für einen radikalen Austausch der Richter, der allen voran Hans Kelsen zum Opfer fiel. Hinfort verdammte auch der eher um- als entpolitisierte Verfassungsgerichtshof die Wiener Ehedispense als null und nichtig und versetzte damit die rund 140.000 „Dispensgattler“ in quälende Rechtsunsicherheit. Darüber und vor allem über die nach wie vor aktuellen Rechtsfragen, die die Wiener Ehedispense aufgeworfen haben, wird Prof. Mußgnug berichten.
Termin: Dienstag, 14. Januar 2025, 19 Uhr c.t.
Ort: Bibliothekssaal des Instituts für geschichtliche Rechtswissenschaft, Friedrich-Ebert-Platz 2, 69117 Heidelberg.
Im Anschluss an den Vortrag soll wie gewohnt ein kleiner Umtrunk stattfinden. Der Eintritt ist natürlich frei und Gäste sind herzlich willkommen. Wir freuen uns darauf, Sie bei dem Vortrag wiederzusehen!
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Geplante Veranstaltungen
Näheres folgt in Kürze.
Vergangene Veranstaltungen
Adolf Weißler, Gründer des Deutschen Notarvereins: ein jüdischer Notar im Kaiserreich
Notar Dr. Michael Kleesang
Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Rechtsanwalt und Notar Adolf Weißler (1855-1919). Weißler war im Jahre 1900 die treibende Kraft bei der Wiederbegründung des Deutschen Notarvereins und 1901 bis zu seinem Freitod 1919 Schriftleiter von dessen Zeitschrift, der heutigen DNotZ. Weißlers schriftliches Oeuvre umfasste eine große Anzahl fachwissenschaftlicher, berufspolitischer und rechtshistorischer Arbeiten, insbesondere zur Entstehung des Anwaltsnotariats und der Geschichte der Anwaltschaft. Seine berufspolitischen Vorstellungen gingen in die Richtung des Nurnotariats, während er einer freien und ungebundenen Advokatur kritisch gegenüberstand.
Als Jude mit dem zeitgenössischen Antisemitismus konfrontiert, war Weißler gleichwohl auf vollständiges Aufgehen im Deutschtum orientiert und stellte hierzu in einem Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern religionspolitische Überlegungen an, die von jüdischer wie von christlicher Seite kritischen Widerhall fanden. Seine Vorstellungen goss er schließlich in einem utopischen Roman in eine literarische Form. Als Schriftleiter der Zeitschrift des DNotV kulminierte seine publizistische Tätigkeit während des Ersten Weltkrieges in juristisch-politischen Betrachtungen zum Ablauf des jeweiligen Kriegsjahrs und zeigen, wie schon berufspolitische Beiträge früherer Jahre, eine bemerkenswerte liberale Teilöffentlichkeit im Deutschen Kaiserreich.
Im Anschluss an den Vortrag soll wie gewohnt ein kleiner Umtrunk stattfinden.
Der Eintritt ist natürlich frei und Gäste sind herzlich willkommen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Termin: Dienstag, 12. November 2024, 19 Uhr c.t.
Ort: Bibliothekssaal des Instituts für geschichtliche Rechtswissenschaft, Friedrich-Ebert-Platz 2, 69117 Heidelberg.
Von Walen, Grönländischem Recht und "Moby-Dick" - Zum Recht des historischen Walfangs im Nordatlantik
Prof. Dr. Christian Hattenhauer, Lehrstuhlinhaber der Germanistischen Abteilung des Instituts für geschichtliche Rechtswissenschaft der Universität Heidelberg und Vorstandsmitglied der Heidelberger Rechtshistorischen Gesellschaft, wird diesen interessanten und informativen Vortrag halten.
Die kontinentaleuropäischen Waljäger bildeten für die Konkurrenz bei der Jagd und für Havarien mit dem "Grönländischen Recht" besondere Bräuche aus, die Ende des 17. Jahrhunderts verschriftlicht und zum Teil obrigkeitlich verabschiedet wurden. Im Vortrag geht es um die Entstehung und Wurzeln des "Grönländischen Rechts", um dessen Verhältnis zur mündlich tradierten "Fast-Fish and Loose-Fish"-Regel der englischen Waljäger und schließlich um die Tauglichkeit von Herman Melvilles "Moby-Dick" (1851) als Rechtsquelle des historischen Walfangs.
Termin: Dienstag, 22 Oktober 2024, 19 Uhr c.t.
Ort: Bibliothekssaal des Instituts für geschichtliche Rechtswissenschaft, Friedrich-Ebert-Platz 2, 69117 Heidelberg.
Die verwaltete Welt als politische Form: Zur Aktualität Ernst Forsthoffs (1902-1974)
Prof. Dr. Florian Meinel, Göttingen, wird anlässlich des 50. Todestags von Ernst Forsthoff an den bedeutenden, aber nicht unumstrittenen Heidelberger Staats- und Verwaltungsrechtler erinnern:
Pipelines, Energiewende, Digitalisierung, Zukunft des Wohlfahrtsstaates: Die großen Fragen der Gegenwart betreffen die "Daseinsvorsorge", die der Heidelberger Staatsrechtler Ernst Forsthoff auf einen ungemein erfolgreichen Begriff gebracht hat. Trotzdem gehört er nicht zu den Klassikern des politischen Denkens, sondern zu einer bestimmten historischen Epoche: Sein verfassungsrechtliches und politisches Denken hat das juristische Denken und die konservative Kritik der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit nachhaltig geprägt. 50 Jahre nach seinem Tod soll der Vortrag der Frage nachgehen, was von Forsthoff bleibt: eine Apologie der Unfreiheit in der verwalteten Welt? Eine skeptische Beschreibung des bundesrepublikanischen Industriegesellschaft, bevor ihre Liberalisierung begann? Oder eine Methode der Begriffsbildung? Oder eine Methode der Kritik rechtlicher Begriffe? Forsthoffs Werk demonstriert, dass und warum bestimmte Fragen produktiv bleiben, auch wenn die einst gegebenen Antworten nicht mehr überzeugen.
Prof. Dr. Florian Meinel gilt seit seiner in zwei Auflagen erschienenen Berliner Dissertation „Der Jurist in der industriellen Gesellschaft: Ernst Forsthoff und seine Zeit“ (Berlin 2011) als hervorragender Kenner der Vita und Forscherpersönlichkeit Forsthoffs. Meinel wirkt seit Wintersemester 2020/21 am Institut für Grundlagen des Rechts der Universität Göttingen und leitet dort die Abteilung für Vergleichendes Staatsrecht und Politische Wissenschaften. Im akademischen Jahr 2021/22 war er Mercator Senior Fellow an der Harvard Law School.
Achtung! Termin: Mittwoch, 3. Juli 2024, 18 Uhr s.t.
Im Anschluss an den Vortrag soll ein kleiner Umtrunk stattfinden.
Ort: Bibliothekssaal des Instituts für geschichtliche Rechtswissenschaft, Friedrich-Ebert-Platz 2, 69117 Heidelberg.
Mommsen und Studemund: Wissenschaftspolitik im 19. Jahrhundert am Beispiel der Gaius-Institutionen
Am 19. Juni wird Prof. Dr. Mario Varvaro aus Palermo über ein spannendes Stück europäischer Rechts- und Wissenschaftsgeschichte sprechen:
1816 war in Verona die einzige Handschrift wiederentdeckt worden, welche die Institutionen des römischen Juristen Gaius und damit eine bedeutende Quelle des römischen Rechts überliefert. Rund ein halbes Jahrhundert danach waren jedoch viele Stellen noch immer nicht entziffert. Theodor Mommsen überzeugte die Berliner Akademie der Wissenschaften davon, Wilhelm Studemund, einem jungen, ambitionierten Altphilologen, das Projekt einer gründlichen Revision des Palimpsests zu finanzieren. Dieses scheinbar nur für Spezialisten interessante Vorhaben war alles andere als unpolitisch: Berlin strebte nach kultureller Hegemonie über den gesamten Bereich der Altertumswissenschaften.
Voller Ehrgeiz stellte Studemund sein ganzes Talent in den Dienst Mommsens. Ein Blick hinter die Kulissen der Geschichte des von ihm angefertigten sog. Apographums beleuchtet anhand von unveröffentlichten Archivalien markante Aspekte der deutschen Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Prof. Dr. Mario Varvaro, mehrfach Stipendiat u.a. der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und im Sommersemester 2024 wieder Gastprofessor an der Ruperto Carola, ist durch eine Vielzahl von Beiträgen auch in deutscher Sprache zur antiken Rechtsgeschichte und zur Wissenschaftsgeschichte hervorgetreten.
Wie die Kurpfalz die Kurwürde verspielte und 25 Jahre später wiederbekam
Vortrag von Dr. Gerhard Immler, leitender Archivdirektor am Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München
Am 29. Januar 1621 erklärte Kaiser Ferdinand II. den „Winterkönig“ Friedrich V. von der Pfalz in die Reichsacht und erkannte ihm damit die Kurwürde ab. Endgültig verloren schien sie für die Pfalz am Rhein mit der Belehnung Herzog Maximilians I. von Bayern am 25. Februar 1623. Doch durch den Westfälischen Frieden erhielten die Pfälzer Wittelsbacher nach 25 Jahren wieder einen Sitz im Kurfürstenkolleg, wenn auch nicht mehr an der fünften, sondern einer neu geschaffenen achten Stelle.
Hinter dieser Geschichte, die ereignisgeschichtlich betrachtet, mit dem Dreißigjährigen Krieg zusammenhängt, steckt jedoch eine lange Vorgeschichte: Schon von der Entstehung des Kurkollegs her war zweifelhaft, ob der Pfalzgraf bei Rhein oder der Herzog von Bayern das bessere Anrecht darauf habe, und als 1356 die Goldene Bulle zugunsten des ersteren entschied, war dies von aktuellen politischen Umständen und dynastischen Verhältnissen bedingt. Weil seit dem Tod Kurfürst Friedrichs IV. 1610 die Heidelberger Politik begann, mit der Goldenen Bulle die eigene Rechtsgrundlage zu beschädigen, sah der energische Maximilian von Bayern die Chance, gefühltes vergangenes Unrecht zurechtzurücken.