Der Entwurf eines Bundessteuergesetzbuchs
Der Reformauftrag
Die Steuer ist die Gemeinlast, die allen Inländern je nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit gleich auferlegt wird. Doch oft verfehlt das Steuerrecht die gleichheitsgebotene Unausweichlichkeit, weil das Steuerrecht seine Kassenhäuschen zwar an den Normalwegen aufstellt, auf denen die Wirtschaftenden sich bewegen, der Steuerpflichtige hingegen durch zivilrechtliche Gestaltungen sein Wirtschaften auf Nebenwege verlegt, auf denen er sein wirtschaftliches Ziel gleichermaßen erreicht, die Zahlstellen des Steuerstaates aber vermeiden kann. Wenn ein Wirtschaftsgut durch Niedrigbewertung oder überhöhte Abschreibungen unter Wert ausgewiesen wird, die Zurechnung von Einkunftsquellen zu Unternehmen oder Privatvermögen gewählt, auch auf einen geringverdienenden Angehörigen übertragen werden kann, wenn die Wahl der Gesellschaftsform die Höhe der Einkommen- oder Körperschaftssteuer wesentlich verändert, wenn Mutter- und Tochtergesellschaften grenzüberschreitend Gewinne in ein Niedrigsteuerland, Verluste in ein Hochsteuerland verschieben können, verändert nicht die finanzielle Leistungsfähigkeit der Betroffenen die Steuerlast, sondern deren steuertaktisches Geschick. Sie sind im Schachspiel mit dem Finanzamt durch geschickte Spielzüge mit List und Esprit erfolgreich; die Prämie ist eine beachtliche Steuerersparnis.
Viele Bank- und Versicherungsgeschäfte sind Steuergeschäfte. Das Unternehmen verspricht seinen Kunden nicht eine hohe Rendite, die es im Dienst seiner Kunden erwirtschaftet habe, sondern Steuerersparnisse. Den Geschäftserfolg sichern nicht die Vertragspartner, sondern die übrigen Steuerzahler, die an dem Vertrag unbeteiligt sind. Einen Vertrag zu Lasten Dritter allerdings darf es nach der Idee des Vertrages nicht geben. Ein Vertrag ist verbindlich, weil die Vertragspartner übereinstimmend über Güter in ihrer Verfügungsmacht willentlich bestimmen. Der Vertragspartner aber verfügt über sein Eigentum und seine Arbeitskraft, nicht über das Steueraufkommen des Staates und die Steuererhöhungen zu Lasten anderer Steuerzahler.
Wenn Steueranreize die Anleger umwerben, einer Verlustzuweisungsgesellschaft beizutreten, stellt das Steuerrecht die Idee von Wirtschaftsfreiheit und Markt auf den Kopf. Unser Marktsystem und unsere Prosperität lebt davon, dass die Menschen nach Gewinn und Lohn streben, nicht den Verlust suchen. So wird im großen Stil Kapital fehlgeleitet, teilweise Kapital verbrannt. Diese Steuersparmodelle setzen in der Regel voraus, dass die Investition kreditfinanziert wird. Vielfach stehen die Anleger dann vor der Asche ihres verbrannten Kapitals und der Realität ihrer Schulden. Selbst wenn das Gesetz in seinen Anreiztatbeständen tatsächlich Steuerentlastungen überbringt, bleiben diese wirtschaftlichen Vorteile oft dem Anbieter von Steuersparmodellen vorbehalten. Der Anleger hat dann sein Kapital fehlgeleitet, ohne in einer Steuerersparnis einen Ausgleich für diese Torheit zu gewinnen.
Das Kernproblem der Steuerlenkung liegt jedoch in einem strukturellen Verlust an Freiheitsvertrauen. Der Steuerstaat traut seinen Bürgern nicht mehr zu, dass sie selbst wüssten, wie sie ihr erzieltes Einkommen zu verwenden haben. Er lockt sie durch Steuerversprechen in Anlageformen, die sie aus eigener ökonomischer Vernunft nicht gewählt hätten. Sie riskieren Investitionen in leistungsschwachen Branchen und wenig erschlossenen Gebieten, in Finanzspekulationen und Kulturhoffnungen, in Umweltprogrammen und Städtesanierungen. Bei diesen Steuersubventionen weiß der Staat nicht, wie teuer ihn ein Subventionsprogramm kommt. Während bei der Leistungssubvention jeder Betrag offen im Staatshaushalt auszuweisen, jährlich zu überprüfen und in offener parlamentarischer Debatte zu rechtfertigen ist, bedient sich bei der Steuersubvention der Steuerpflichtige der einmal gesetzlich gewährten Subvention selbst, erfüllt den gesetzlichen Tatbestand, erreicht dadurch einen Steuernachlass, ohne dass der Staat feststellen könnte, warum ihm Geld fehlt. Oft wird die Steuersubvention auch gewählt, weil der Bundesgesetzgeber die Subvention anbieten kann, sie aber zu Lasten fremder Kassen – der Länder und Gemeinden – finanziert werden muss. Die Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer sind Gemeinschaftssteuern, bei denen der Bund regelt, die Ertragshoheit aber zu mehr als der Hälfte Ländern und Gemeinden zusteht. Die Erbschaftsteuer ist eine bundesrechtlich geregelte Steuer, deren Erträge ausschließlich den Ländern zukommen. Wird eine Steuersubvention im Rahmen der progressiven Einkommenssteuer angeboten, darf der Steuerpflichtige sein Einkommen meist um den nach staatlicher Vorgabe eingesetzten Betrag mindern. Damit kehrt sich die Progression in ihr Gegenteil: Der Großverdiener spart pro eingesetztem Euro 45 Cent, der Mittelverdiener 25 Cent, der Kleinverdiener 0 Cent. Die Subvention steigt mit schwindendem Subventionsbedürfnis; sie sinkt mit steigendem Subventionsbedürfnis. Dieses Ergebnis ist offensichtlich gleichheitswidrig.
Steuern als Preis der Freiheit
In diesem Besteuerungssystem der Widersprüche, der Fehlanreize, der gleichheitswidrigen Vermeidbarkeiten ist es geboten, die kühne Frage nach dem Steuerrecht, nach der Gerechtigkeit der geltenden Belastungsgründe zu stellen. Bei dieser Grundsatzfrage des Rechts geht es dem Juristen wie dem Arzt. Er könnte kaum das Ziel seines Handelns, die Gesundheit, definieren, kann aber sehr wohl eine Krankheit diagnostizieren und Heilmittel anwenden. Ähnlich geht es dem Juristen: Er weiß, was Unrecht ist, hat auch die Instrumente, um das Unrecht aus der Welt zu schaffen.
Die Ausgestaltung des Steuerrechts als Ausdruck der Gerechtigkeit beginnt mit dem Auftrag, die Steuer als Preis der Freiheit zu rechtfertigen. Als nach dem Fall des eisernen Vorhangs der Blick sich auf die ehemaligen kommunistischen Staatshandelsländer richtete, hatten diese Länder teilweise nur eine Steuer und der Steuersatz betrug zwei oder drei Prozent. Doch diese Staaten eröffneten nicht das Steuerparadies auf Erden, sondern waren in ihren Staatsunternehmen Herrscher über Löhne und Preise, konnten sich deshalb, wenn das System funktioniert hätte, aus ihren Unternehmen finanzieren, hätten also überhaupt keine Steuer gebraucht. Nur ein freiheitlicher Staat, der in der Garantie der Berufs- und Eigentümerfreiheit die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit in freiheitlicher Hand belässt, muss sich durch Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens – durch Steuern – finanzieren. Wer wirtschaftliche Freiheit beansprucht, muss die steuerliche Finanzierung des freiheitsgarantierenden Staates anerkennen.
Die Rechtfertigung der Steuer als Preis der Freiheit bestimmt auch den Zugriffsgegenstand der jeweiligen Einzelsteuer. Wer Einkommen erzielt, hat die Erwerbsbedingungen des Wirtschaftslebens in Deutschland genutzt, muss deshalb hier Einkommensteuer bezahlen. Zwar ist sein Einkommen seine höchstpersönliche Leistung, zugleich aber auch Leistung der Rechtsgemeinschaft von Staat, Wirtschaft und Kultur. Wer Einkommen erzielt, nutzt die Friedensordnung seines Staates, um seine Handelshäuser, seine Schaufenster, seine Leistungsangebote für jedermann zu öffnen. Er stützt sich auf das vom staatlichen Gesetzgeber und seinen Gerichten garantierte Vertragsrecht, um den Leistungstausch zu vereinbaren. Er nutzt die geltende Währung, um Preise und Werte zu bestimmen. Er setzt Arbeitskräfte ein, die auf Schulen und Hochschulen gut ausgebildet worden sind. Er begegnet Kunden, die mit Vertragsrecht, Banken und Zahlungsbedingungen umgehen können. Er erzielt sein Einkommen nicht, weil er eine glänzende Leistung anbietet, sondern weil er einen Leistungsempfänger findet, der dank seiner Kaufkraft und seiner Entscheidung diese Leistung als wertvoll erkennt und durch Honorierung anerkennt. Wer diese Erwerbsgrundlagen individualnützig beansprucht, soll einen maßvollen Teil des dadurch erzielten Einkommens an die Allgemeinheit abgeben, damit sich dieses freiheitliche System auch in der Zukunft finanzieren lässt.
Ähnliches gilt für die Umsatzsteuer. Wer einen 100 Euro Schein in der Tasche hat und einen gewaltigen Durst verspürt, wird in unseren Gaststätten und Lokalen in der Kombination von Geld und Durst einen vergnüglichen Abend gestalten können. Stünde er in der Wüste, würde er trotz seines Geldscheines verdursten. Deswegen verlangt der Staat von jedem, der die Infrastruktur unseres Marktes zur Befriedigung seines Konsumbedarfs nutzen konnte, eine Umsatzsteuer. Ähnliches gilt für die Verbrauchssteuer, auch für die Erbschaftssteuer, wenn der Erbe dank der staatlichen Erbschaftsgarantie und des Friedensprinzips die Erbschaft entgegennehmen und in Freiheit nutzen kann.
Wenn dieser Grundgedanke des Steuerrechts in einfachen Tatbeständen ausgeformt und so in das Bewusstsein der Menschen gedrungen ist, wissen wir auch im Steuerrecht wieder, was sich gehört. Wer die Zahlung der so gerechtfertigten Steuer verweigert, ist kein ehrbarer Kaufmann, kein anständiger Bürger. Er grenzt sich durch Steuerverweigerung selbst aus dem redlichen Markt und dem lauteren Wettbewerb aus.
Ausgestaltung der Einzelsteuern
Die Einzelsteuern sind so auszugestalten, dass der Steuerpflichtige den rechtfertigenden Belastungsgrund der Steuer erkennt, die Steuer in ihrer Struktur und Belastungswirkung verstehen kann. Deswegen ist auf unnötige Differenzierungen zu verzichten, auch eine Formalisierung des Rechts zu vermeiden, die zu Ausweichstrategien einlädt. Die deutsche Einkommenssteuer kennt sieben unterschiedliche Einkunftsarten. Doch jeder in diesen Einkunftsarten erzielte Euro vermittelt die gleiche finanzielle Leistungsfähigkeit. Deswegen sollte die neue Einkommensteuer nur noch eine Einkunftsart vorsehen. Damit entfällt auch der Tatbestand „Gewerbebetrieb“, infolgedessen auch die Gewerbesteuer. Sie wird durch eine kommunale Zuschlagsteuer auf alle in der jeweiligen Gemeinde erwirtschafteten Einkommen mit kommunalem Hebesatz ersetzt.
Beim vorgeschlagenen Modell entfallen alle Ausnahme-, Lenkungs- und Privilegientatbestände. Das dadurch erreichte Mehraufkommen wird durch Absenkung der Steuersätze an die Allgemeinheit der Steuerpflichtigen zurückgegeben. Der Unternehmer wird von unproduktiven Steuerüberlegungen entlastet, gewinnt wieder einen freien Kopf für sein Produkt und seinen Markt. Alle Unternehmen werden einheitlich derselben Einkommensteuer unterworfen. Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften bilden jeweils eine steuerjuristische Person, bei der die Steuer erklärt, erhoben und vollstreckt wird. Dadurch wird die Körperschaftssteuer voll in die Einkommenssteuer integriert. Die Weitergabe des bei der Steuerjuristischen Person bereits besteuerten Gewinns an Beteiligte ist die Weitergabe von Vermögen, also nicht steuerbar. Allerdings sollte die Ausschüttung der Kapitalerträge an die Kapitalgeber die in Unternehmen durch Gewinnbesteuerung einbehaltenen 25% Einkommenssteuer offen ausweisen, damit die Vorbelastung ähnlich der im Quellenabzug erhobenen Lohnsteuer sichtbar wird. Dieser Nachweis macht deutlich, dass Arbeits- wie Kapitaleinkünfte grundsätzlich gleichermaßen mit 25% vorbelastet werden, die Arbeitseinkünfte allerdings in der Lohnsteuer individuell auf die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen etwa durch Freibeträge oder die Progression, abgestimmt werden können.
Diese einheitliche, unausweichliche Bemessensgrundlage ist Bedingung der Steuergleichheit damit der Steuergerechtigkeit. Hier liegt ein Kernanliegen der Reform. Demgegenüber sind die Höhe der Freibeträge und des Steuertarifs von nachrangiger Bedeutung. Ich habe als der für Steuerrecht zuständige Verfassungsrichter erlebt, dass das gegenwärtige Steuerrecht wie ein Auto in den Bremsen, im Gaspedal, in der Lenkung und in der Erneuerung der Blinker repariert werden mag, dass das Modell insgesamt aber nicht fahrtauglich ist. Deswegen stellen wir ein neues Modell auf die Straße. Dessen Tempomat ist behutsam auf 80 km/h eingestellt. Es kann aber durch einen Hebeldruck mühelos auf höhere oder niedrigere Geschwindigkeiten (Freibeträge, Steuersätze) eingestellt werden.
Der Entwurf eines Einkommensteuerrechts schlägt einen Grundfreibetrag von 8.000 Euro und eine Vereinfachungspauschale von 2.000 Euro vor. Er verschont damit Einkommen in Höhe von 10.000 Euro pro Person und Jahr. Neuere Gespräche mit anderen Instituten ergeben, dass sogar ein Freibetrag von 12.000 Euro – 1000 pro Monat – in den Bereich des Möglichen tritt. Die nachfolgenden 10.000 Euro werden dann progressiv belastet. Der Spitzensteuersatz beträgt – aufkommensneutral – 25%. Damit werden die gegenwärtigen Unterschiede zwischen den Steuersätzen – 15% Körperschaftssteuer, 25% private Kapitaleinkünfte, 14-45% progressive Einkommensteuer – aufgehoben. Insbesondere wird das Arbeitseinkommen nicht mehr höher besteuert als die Kapitalerträge. Die Organisationsform als Einzelkaufmann, Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft ist für die Höhe der Steuerlast unerheblich.
Das vorgeschlagene Reformkonzept beschränkt sich aber nicht auf die Einkommenssteuer, sondern sucht das gesamte materielle Steuerrecht in einer Kodifikation zusammenzufassen, damit dem Steuerrecht eine ähnliche Gesetzesgrundlage zu geben, wie es das Bürgerliche Gesetzbuch im Privatrecht bietet.
Die Erbschaft- und Schenkungsteuer belastet jede durch Erbschaft und Schenkung empfangene Bereicherung, vereinfacht die Steuer in schlichten Grundtatbeständen und einem praktikablen Bewertungsverfahren. Die Erbschaft unter Ehegatten ist nicht steuerbar, weil Vermögen nicht an die nächste Generation weitergegeben wird. Soweit, insbesondere bei Unternehmen, das ererbte Vermögen kaum Liquidität vermittelt, kann die Steuer auf 10 Jahre in gleichen Jahresraten zinslos gestundet werden. Es gibt nur noch wenige Steuerbefreiungen (Kinder 400.000, Hausrat 20.000, im übrigen 50.000), keine Steuerklassen und nur einen einheitlichen Steuersatz von 10%.
Die Umsatzsteuer belastet den Verbraucher, ist also eine Verbrauchsteuer, wird gegenwärtig dennoch auf alle Umsätze erhoben und dann bei zwischenunternehmerischen Umsätzen durch einen Vorsteuerabzug wieder zurückgenommen. Dieses aufwendige Verfahren wird beendet. Zwischenunternehmerische Leistungen sind grundsätzlich nicht steuerbar, wenn sie über prüfbare Bankkonten (Gewährkonten) abgewickelt werden und dabei eine umsatzsteuerliche Identifikationsnummer erkennbar ist. Im neuen System der Ist-Besteuerung belastet die Umsatzsteuer erst die erbrachte Leistung. Dadurch werden nicht gerechtfertigte Liquiditätsverschiebungen und Ausfallrisiken vermieden. Die Umsatzsteuer ist eine Verbrauchsteuer, wird also grundsätzlich dort erhoben, wo der Verbraucher erwirbt.
Die Verbrauchsteuer belastet den Verbrauch, durch den der Allgemeinheit Kosten entstehen. Steuergegenstand ist der Verbrauch von Energie, von Tabak und Alkohol. Auf die übrigen Verbrauchsteuern wird verzichtet. Die Verkehrsteuern werden in die Umsatzsteuer integriert.
Steuerreform in der Finanzkrise
Allerdings weist gegenwärtig mancher verantwortliche Finanzpolitiker auf die gewaltigen Aufgaben hin, die der Finanzmarkt den Staaten und der Europäischen Union stelle. Alle Konzentration gelte dem Schuldenabbau, der Rückgewinnung staatlicher Souveränität gegenüber dem Finanzmarkt, einer erneuerten Kultur der Verständlichkeit und des Maßes weltweit für alle Finanztransfers. Gegenüber diesen gewaltigen Zielen müsse die Steuerreform zurücktreten.
Doch Finanzreform, Haushaltsreform und Steuerreform sind so miteinander verflochten und folgen ähnlichen Prinzipien, dass sie sich wechselseitig beflügeln können. Im Finanzmarkt stellt sich die Frage, ob die dort erzielten Gewinne gerechtfertigt sind, wenn die wirtschaftliche Leistung der Finanzakteure, die Sinnstiftung und die dem einzelnen Menschen dienende Bedarfsbefriedigung nicht mehr sichtbar wird. Das Steuerrecht muss sich fragen lassen, ob steuernmindernde Vertragsgestaltungen, die nicht im Tausch der Vertragspartner einen Mehrwert vereinbaren, deren Sinn allein in der Belastung des Steuerstaates und der übrigen Steuerpflichtigen liegt, eine innere Rechtfertigung beanspruchen dürfen.
Wenn allein das rechtliche Konstrukt zu einem Vorteil führt, Finanzmarkt und Steuergestaltungen zunehmend durch Griff in die Staatskasse Einkommen erzielen, aber nicht verdienen, die Intransparenz dieser Systeme die Gegenwehr eines wachen Rechtsbewusstseins lähmt, ist eine grundsätzliche Neubesinnung über die Rechtfertigung von Unternehmererfolg, Wirtschaftsfreiheit, freiheitlich definiertem Markt und Wettbewerb geboten. Wirtschaftliches Handeln meint immer Handeln auf eigene Rechnung, Einstehen für den Erfolg eigenen Tuns in Gewinn und Verlust. Steuerlicher Belastungsgrund ist stets der individuelle wirtschaftliche Erfolg, der Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit, von dem ein freiheitliches Verfassungssystem einen maßvollen Teil zur Finanzierung des Staates unausweichlich fordert. Hier liegt der Maßstab für eine gleichmäßige und maßvolle Steuerlast.
Die Bekämpfung der Finanzkrise und der Steuerkrise fordern also gleichermaßen eine Besinnung auf die Idee von Freiheit, individueller Selbstverantwortung und einer Zukunftsgarantie für beide Systeme. Wir müssen zurückkehren zum System der christlichen Seefahrt: Wenn der Kapitän sein Schiff auf Sand gesetzt hat, verlässt er als letzter das Schiff. Er riskiert durch übermäßige Risikofreude und Fehlleistungen Leib und Leben, steuert deshalb seine Schiffe behutsam und verlässlich durch die Weltmeere.
Vermeintliche Gründe gegen eine Steuerrechtsreform
Gelingt diese Rückbesinnung auf das Freiheitsprinzip – und sie muss gelingen, soll die Idee der Freiheit nicht scheitern –, so verlieren die drei wesentlichen, gegen eine Grundsatzreform im Steuerrecht vorgebrachten Gründe deutlich an Gewicht:
- eine große Reform sei in unserem Parteien- und Verbändestaat mit vielfältigen Interessen nicht möglich;
- die internationale Vernetzung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates erlaube keine strukturelle Reform;
- jede grundlegende Neuerung gefährde ein stetiges und ausreichendes Steueraufkommen.
Diese Einwände rühren an die Wurzeln unseres demokratischen Rechtsstaates. Der zutreffende Hinweis, Verbände und Parteien werden einmal errungene Steuervorteile verteidigen und neue erkämpfen, darf nicht zu der faktischen Gesetzmäßigkeit verallgemeinert werden, das Parlament sei zu einem allgemeinen, die Belastungsgleichheit wahrenden und die wirtschaftliche Freiheit stützenden Gesetz nicht mehr in der Lage. Je mehr die Abgeordneten und ihre Helfer, die den Gesetzgeber von der Gesetzesinitiative bis zur Entscheidung des Bundesrates begleiten, von Interessentenanliegen und Interessentenwissen bedrängt werden, desto mehr werden sich die Verantwortlichen für das Recht zusammenfinden, um diesen Interventionen Einhalt zu gebieten und das Parlament wieder in die Mitte der Demokratie zu rücken. Wir erleben gerade in Europa und weit darüber hinaus in vielen Ländern einen hoffnungsvollen Aufbruch zur parlamentarischen Demokratie. In dieser Phase einer demokratischen Neuzeit dürfen nicht die Staaten, die sich ihrer erprobten Demokratie sicher wähnen und ihr Freiheit, Wohlstand und Hochkulturen verdanken, ein Kernstück dieser Staatsverfassung vernachlässigen und gefährden.
Europa harmonisiert die indirekten Steuern, drängt auch auf strukturelle Gemeinsamkeiten der direkten Steuern. Wirtschaftsunternehmen erschließen sich die Weltmärkte und treffen Standort- und Investitionsentscheidungen auch nach dem für sie günstigen Steuerrecht. Deshalb hat Deutschland teilweise seine Steuergesetzgebungskompetenz auf die Europäische Union übertragen, gerät andererseits in einen vermeintlichen „Wettbewerb der Steuerrechtsordnungen“ unter den Druck, Unternehmen steuerlich zu entlasten und zu privilegieren. Doch in der Europäischen Union hat Deutschland nach seinem rechtlichen und seinem realwirtschaftlichen Status sowie nach dem Gesetzgebungsverfahren durchaus das Gewicht, die europäische Steuerpolitk wesentlich zu beeinflussen, vielleicht auch ein erprobtes und bewährtes einfaches Steuersystem nach Europa zu exportieren.
Die Konkurrenz von Staaten um unternehmerische Ansiedlungen und Investitionen ist kein Wettbewerb. Der rechtfertigende Gedanke des Wettbewerbs teilt Konkurrenten in Sieger und Besiegte und rechtfertigt den alleinigen Erfolg des Besten durch ein faires Verfahren. Diese Rechtfertigung gilt für den Sport, für politische Wahlen und für den wirtschaftlichen Markt, jedoch nicht für Staaten, die sich ihre Staatsangehörigen nicht abwerben, eine feindliche Übernahme nicht beabsichtigen, das schwächelnde Nachbarland in seinem Status garantieren, im übrigen in der Europäischen Union oder auch in einem OECD-Musterdoppelbesteuerungsabkommen Gemeinsamkeiten entwickeln, die der staatlichen Kooperations- und Friedenspflicht entsprechen, keinesfalls aber kartellrechtlich bedenklich wären. Brot ist käuflich, Recht nicht.
Im Übrigen verfehlt das Bild vom Steuerwettbewerb die Wirklichkeit autonomer staatlicher Steuergesetzgebung. Die Steuerstaaten wettbewerben nicht um ein größtmögliches Steueraufkommen auf ihrem „Markt“ der Steuerpflichtigen, sondern sollen – so meint es die These vom vermeintlichen Steuerwettbewerb – mit möglichst geringen Steuerlasten Unternehmen anlocken. Dieser „Wettbewerb“ führte in die Selbstaufgabe. Sein Ziel wäre erreicht mit einem Nullaufkommen, dem Tod des Finanzstaates.
Deshalb muss auch Deutschland in seiner supra- und internationalen Verflochtenheit beherzt die Chance nutzen, durch ein besseres Steuerrecht andere Staaten zu einer besseren Besteuerung anzuregen. Beispiele in den USA, in Neuseeland, vor allem aber in Mittel- und Osteuropa belegen, dass eine vereinfachende Reform Freiheit entfaltet, damit wirtschaftliche Blüte veranlasst, steuerpolitische Nachahmer findet. Es wäre deprimierend, wenn die Internationalität Deutschlands als Reformunlust, Rechtsverzagtheit, als ein sich Treibenlassen missdeutet würde.
Schließlich hat jede strukturelle Steuerreform, die das Recht vereinfacht, Ausnahme- und Privilegientatbestände abschafft, Steuersätze senkt, die Schwäche, das aus ihr erwachsende Steueraufkommen nur schätzen zu können. Diese Ungewissheit ist aber kein Problem der Reform, sondern des Steuersatzes. Wenn ein Finanzminister die Sorge hätte, die reformierte Einkommensteuer sei nicht aufkommensneutral, könnte er für das erste Jahr nach der Reform wenige Punkte mehr verlangen, den Steuerpflichtigen aber zugleich mit seinem guten Namen garantieren, dass ein Mehraufkommen in voller Höhe an die Allgemeinheit der Steuerpflichtigen zurückgegeben werde. Nach einem Jahr könnte dann das Reformvorhaben in doppelter Weise Vertrauen bilden und allgemeine Zuversicht in das Wort des Gesetzgebers und in das Wort des Ministers verbreiten.
Der Wille zum besseren Recht
Der Vorschlag für ein einheitliches Steuergesetzbuch ist kühn, aber notwendig. Das deutsche Steuerrecht wird gegenwärtig nicht mehr verstanden, kann damit auch nicht als gerecht empfunden werden. Der Unternehmer findet wegen der ständigen Änderungen insbesondere des Einkommensteuerrechts, einem Recht auf Rädern, keine verlässliche Planungsgrundlage mehr. Der Erklärungspflichtige kann seine Steuererklärung nicht mehr nach bestem Wissen und Gewissen abgeben, weil er das Steuerrecht nicht versteht, muss aber die Richtigkeit seiner Erklärung – strafbewehrt mit seinem guten Namen bestätigen.
Im Steuerrecht ist uns der Gerechtigkeitsgedanke weitgehend abhanden gekommen. Menschen, die beruflich außerordentlich erfolgreich sind und deswegen Spitzeneinkommen erzielt haben, sich ihr Leben also ökonomisch angenehm einrichten können, haben hinreichende Vorstellungen von Recht und Unrecht, so dass sie niemals einen Banküberfall erwägen würden, sind aber bereit zur Steuerhinterziehung, obwohl die Schädigung einer Bank oder der steuerzahlenden Nachbarn einen ähnlichen Unrechtsgehalt haben, die Strafrechtsfolgen Freiheitsentziehung von ähnlicher Dauer androhen. Die Bereitschaft des Steuerhinterziehers zum Unrecht und zum strafrechtlichen Risiko ist schlechthin irrational. Sie lässt sich nur aus dem Verlust des Rechtsgedankens im Steuerrecht erklären.
Gegenwärtig beginnt in Deutschland eine Debatte über ein besseres Steuerrecht und es wächst das Verständnis, dass eine Grundlagenreform notwendig ist. Die Demokratie wählt regelmäßig ein Parlament, damit es bessere Gesetze mache. Allerdings nimmt jeder bei der Vielzahl von Privilegien- und Lenkungstatbeständen einige Vergünstigungen in Anspruch, die er nicht missen möchte. Deswegen bedarf es der Aufklärung, dass bei Wegfall aller Vergünstigungen und entsprechender Absenkung der Steuersätze die meisten Steuerpflichtigen in der Belastungswirkung nicht schlechter stehen, die Familien besser gestellt werden, die Steuergestalter in die gleichheitsgerecht bemessene Last gewiesen werden, alle aber ein Stück Freiheit gewinnen, weil sie sich kaum noch mit dem Steuerrecht beschäftigen müssen, die Steuererklärung beim normalen Arbeitnehmer fast völlig entfällt, beim Unternehmer sehr einfach und verständlich wird, die Steuerlast zu einer unvermeidlichen, aber planbaren Größe wird. Jeder Steuerpflichtige ist in der Sicherheit seiner Legalität und eines planbaren Steuerrechts frei. Unternehmermut, Einfallsreichtum, Markt und produktiver Wettbewerb erleben eine neue Blüte.